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Jedes Jahr erleben weltweit über 47 Millionen Frauen den hormonellen Übergang in die (Post-)Menopause. Doch während Symptome wie Hitzewallungen, Schlafstörungen oder Stimmungsschwankungen allgemein bekannt sind, bleibt ein entscheidender Bereich oft unbeachtet: Die Auswirkungen der Menopause auf das Muskel- und Skelettsystem.
Gelenk- und vor allem Muskelschmerzen waren auch eines meiner allerersten, mir nicht erklärlichen Wechseljahressymptome. Bis heute sind sie für mich persönlich neben Nachtschweiß ein eindeutiges Signal dafür, dass ich mit meiner Östrogendosis hochgehen muss. (Mehr dazu, wieso, unten im Artikel.)
Eine kürzlich veröffentlichte wissenschaftliche Übersichtsarbeit der bekannten US-amerikanischen Ärztin und Wechseljahresaktivistin Vonda J. Wright hat diesen Bereich näher beleuchtet und schlägt den Begriff "Musculoskeletal Syndrome of Menopause" vor, um die Vielzahl an Symptomen und Prozessen zu beschreiben, die mit dem Verlust von Östrogen für Knochen, Gelenke und Muskeln in Verbindung stehen.
Dieser Blog-Artikel basiert auf dem genannten Artikel und gibt Einblicke in die Bedeutung dieses neuen Begriffs, die biologischen Hintergründe und mögliche Präventions- sowie Behandlungsstrategien.
Frauen in den Wechseljahren kennen das nur zu gut: Unspezifische Symptome treiben sie von Arzt zu Ärztin – mal ist es der Orthopäde wegen Rückenschmerzen oder “Frozen Shoulder”, mal die Neurologin wegen untypischen Muskelkrämpfen und -zucken, und dann die Hausärztin wegen eines steifen Daumens. Doch oft bleiben die Beschwerden isoliert betrachtet. Jede Fachrichtung behandelt die jeweiligen Symptome, ohne das größere Ganze im Blick zu haben. So bleibt die eigentliche Ursache – der hormonelle Wandel – unentdeckt, und Frauen fühlen sich allein gelassen.
Dies trifft nicht zuletzt auf muskuloskelettale Symptome zu, die sich in Form von:Gelenkschmerzen (Arthralgien), Frozen Shoulder, Muskelverspannungen oder Rückenschmerzen äußern. Der von Dr. Wright vorgeschlagene Begriff „Musculoskeletal Syndrome of Menopause“ fasst diese Symptome und deren Ursachen zusammen und hilft, sie im Kontext der hormonellen Veränderungen zu betrachten.
Diese Symptome können still, schleichend und oft irreversibel sein, wenn sie nicht aktiv adressiert werden. Besonders bedeutsam: Bis zu 70 % aller Frauen in der Lebensmitte berichten von muskuloskelettalen Beschwerden, bei einem Viertel sind diese so ausgeprägt, dass sie den Alltag erheblich beeinträchtigen.
Während der Wechseljahre sinkt die Produktion des Hormons Östrogen, was erhebliche Auswirkungen auf den gesamten Körper hat – einschließlich des Muskel- und Skelettsystems. Zu den Symptomen gehören:
Östrogen spielt eine zentrale Rolle im komplexen Netzwerk, das Muskeln und Knochen im Gleichgewicht hält. Sein Einfluss erstreckt sich auf zellulärer, biochemischer und molekularer Ebene – weshalb ein Mangel an diesem Hormon so tiefgreifende Auswirkungen hat.
Schutz der Knochenmatrix
Östrogen wirkt direkt auf Osteoblasten (knochenbildende Zellen) und Osteoklasten (knochenabbauende Zellen). In einem gesunden System hemmt es die übermäßige Aktivität der Osteoklasten, die sonst die Knochensubstanz abbauen. Wenn Östrogen fehlt, dominieren die abbauenden Prozesse, was zur Demineralisierung der Knochen führt. Die Folge: Die Knochen verlieren an Dichte (Osteopenie) und werden poröser, was das Risiko für Osteoporose und Frakturen erhöht.
Einfluss auf entzündungsfördernde Zytokine
Östrogen reguliert entzündungsfördernde Moleküle wie - jetzt wird’s nerdig - Interleukin-1 (IL-1), Interleukin-6 (IL-6) und den Tumor-Nekrose-Faktor alpha (TNF-alpha). Diese Zytokine fördern den Knochenabbau und erhöhen die Schmerzempfindlichkeit in Gelenken und Muskeln. Mit sinkendem Östrogenspiegel steigen diese Entzündungsmarker, was zu schmerzhaften Gelenksymptomen und einer langsameren Regeneration nach Verletzungen führt.
Förderung der Muskelregeneration
Östrogen beeinflusst die Muskelmasse und -kraft auf zwei Wegen: Erstens steigert es die Expression von Wachstumsfaktoren wie IGF-1 (Insulin-like Growth Factor 1), der die Reparatur und das Wachstum von Muskelzellen anregt. Zweitens wirkt es antioxidativ, indem es freie Radikale neutralisiert, die während des Muskelstoffwechsels entstehen und Muskelschäden verursachen können. Ohne diesen Schutz verlangsamt sich die Regeneration nach Belastungen, und der altersbedingte Muskelabbau (Sarkopenie) schreitet schneller voran. Kein Wunder also, dass ich mich ständig fühlte, wie nach einem Marathon.
Verbesserung der neuromuskulären Kontrolle
Weniger bekannt, aber ebenso bedeutsam: Östrogen unterstützt die Kommunikation zwischen Nervenzellen und Muskelfasern. Es verbessert die Übertragung von Signalen durch Acetylcholin-Rezeptoren, was die Koordination und Balance fördert. Ein Östrogenmangel kann daher das Risiko für Stürze erhöhen – eine gefährliche Kombination, wenn gleichzeitig die Knochen brüchiger werden.
Förderung der Knorpelgesundheit
Knorpelzellen (Chondrozyten) profitieren ebenfalls von Östrogen. Es stimuliert die Produktion von Kollagen und Proteoglykanen, die essenziell für die Elastizität und Belastbarkeit des Knorpels sind. Ohne diese Unterstützung nimmt der Knorpelabbau zu, was das Risiko für degenerative Gelenkerkrankungen wie Arthrose erhöht.
Zusammengefasst beeinflusst Östrogen nicht nur die Stabilität von Knochen und Muskeln, sondern schützt auch vor chronischen Entzündungen, fördert die Regeneration und sorgt für eine optimale Signalübertragung zwischen Nerven und Muskeln. Der Rückgang dieses Hormons in der Perimenopause gleicht daher einem Dominoeffekt: Fehlt der Schutz, gerät das fein abgestimmte Zusammenspiel aus Muskel- und Knochengesundheit aus dem Gleichgewicht – oft mit schmerzhaften und langfristigen Folgen.
Ein gezieltes Eingreifen, sei es durch Ernährung, Bewegung oder gegebenenfalls Hormonersatztherapie, kann diesen Prozess erheblich verlangsamen und die Lebensqualität verbessern.
Die gute Nachricht für alle Frauen ist: Viele dieser Veränderungen können durch Prävention und frühzeitige Intervention gemildert werden. Dr. Wright empfiehlt eine Kombination aus Lebensstiländerungen, gezielter Ernährung und – in bestimmten Fällen – der Anwendung von Hormonersatztherapie (HRT).
Eine proteinreiche Kost unterstützt den Erhalt der Muskelmasse.
Vitamin D und Kalzium sind essenziell, um die Knochendichte zu stärken.
Ergänzend könnte Vitamin K2 eine Rolle spielen, da es die Knochenmineralisierung fördert.
Widerstandstraining ist besonders effektiv, um Muskelschwund entgegenzuwirken und die Knochendichte zu erhöhen.
Studien zeigen, dass Krafttraining mit schweren Gewichten und weniger Wiederholungen die beste Methode ist, um Muskelkraft und -power zu steigern.
Der Begriff bietet nicht nur Frauen, sondern auch Ärzt:innen eine Möglichkeit, die komplexen Zusammenhänge zwischen Östrogenmangel und muskuloskelettalen Beschwerden besser zu verstehen und zu erkennen. Dadurch können Beschwerden nicht länger als unvermeidlicher Teil des Älterwerdens abgetan werden. Stattdessen rückt ein proaktiver Ansatz in den Fokus: Die richtige Mischung aus Prävention, Aufklärung und gezielten Behandlungsstrategien.
Die Menopause markiert keine Endstation, sondern einen Übergang, der Frauen vor Herausforderungen stellt – aber auch Chancen bietet, bewusster mit ihrer Gesundheit umzugehen. Das neu eingeführte Konzept des „Musculoskeletal Syndrome of Menopause“ ist ein Schritt in die richtige Richtung, um ein bisher unterschätztes Thema sichtbar zu machen. Mit der richtigen Unterstützung und Prävention können Frauen nicht nur den Symptomen entgegenwirken, sondern auch ihre Lebensqualität nachhaltig verbessern.
Wright, Vonda J. et al. (2024). The musculoskeletal syndrome of menopause. Climacteric. [online] doi:https://doi.org/10.1080//13697137.2024.2380363.